Natürlich soll man sich äußeren Einflüssen nicht komplett verschließen, wenn es um Ratschläge zum Thema Kindererziehung geht. Wenn diese Ratschläge jedoch aus dem direkten Umfeld kommen, vor allem von Großeltern und kinderlosen Bekannten, gibt es oft nur eine Strategie: Ohren zu und durch oder, noch besser, die Konsequenz des eigenen Ratschlags am eigenen Leib erfahren lassen.
Wenn die Frau schwanger ist, geht man einen magischen Vertrag ein, der einen für die nächsten 18 Jahre und 9 Monate dazu verpflichtet, das zarte Geschöpf im Bauch der Partnerin am Leben zu halten. Wenn man dann noch einen Funken Ambition mitbringt, sollte der Nachwuchs sicher auch noch halbwegs vorzeigbar und gesellschaftsfähig daher kommen. Den Nachweis für diesen Vertrag bildet der positive Schwangerschaftstest. Und mit diesem Stempel auf der väterlichen Seele entwickelt sich gleich dieses Gefühl, dass einem fortwährend zu Höchstleistungen bei der Kindererziehung motivieren soll: Angst!
Das geht schon in der Schwangerschaft los: Darf meine Partnerin dieses oder jenes essen? Müssen wir jetzt ausschließlich klassische Musik hören, um die Chancen einer akademischen Karriere für das Kind zu erhöhen? Und sollten wir mit dem Vorlesen schon ab dem dritten Schwangerschaftsmonat oder erst im dritten Trimester beginnen? Nach der Geburt, wenn man endlich seine Ängste, dem zarten Geschöpf beim Umziehen einzelne Gliedmaßen abzubrechen, überwunden hat, stellt sich die Frage, wie man dem Kind einen vernünftigen Tag-Nacht-Rhythmus anerziehen kann und wie man ihm abgewöhnen kann, zu diesen unpraktischen Tageszeiten (nachts und außerhalb des angestrebten 2-Stunden-Takts) nach Nahrung zu verlangen.
Inkonsequenz wird direkt und nachhaltig bestraft
Während sich die erzieherischen Maßnahmen innerhalb der ersten 6 Monate noch auf Justierungen beschränken, die den Eltern etwas mehr Komfort im Tagesablauf bescheren sollen, geht es mit zunehmender Intelligenz und Mobilität des Kindes langsam ans eingemachte. Nun muss dem Kind unter anderem beigebracht werden, dass die Wohnungseinrichtung kein Spielzeug, Wände kein Malpapier, Toiletten kein Planschbecken und Autos keine Müllkippen sind. Und spätestens nach Anbruch des zweiten Lebensjahres erlebt man als Eltern, dass Erziehung ein sich selbst regulierendes System ist, das bei Fehlern oder Inkonsequenz mit einer direkten, harten und nachhaltigen Bestrafung der Eltern, vor allem der tendenziell inkonsequenteren Väter, einhergeht.
Ich nenne ein Beispiel: Es gibt Situationen, wo man sich nicht anders zu helfen weiß. Ein wichtiger Telefonanruf, plötzliches Unwohlsein, eine große Sauerei in der Küche, nachdem einem der Soßentopf heruntergefallen ist, u.s.w. In diesen Notfällen ist ein iPad ein wunderbares Gerät und man neigt dazu, die eigene No-digital-devices-Policy über Bord zu werfen. Gib es deinem quengeligen Kind, wähle einen Zeichentrick-Kanal auf Youtube aus und genieße die Ruhe. Die Zeiträume dieser Ruhephasen sind schier unendlich, solange der Content auf Youtube nicht plötzlich aufgebraucht ist. Wir alle wissen, dass exzessiver Medienkonsum nicht gerade förderlich ist für die Kleinen. Daher erfolgt mit dem Abschalten des iPads die unmittelbare Bestrafung der Eltern (irgendwann muss das Gerät abgeschaltet werden, sei es zur Nahrungsaufnahme, zum Auffüllen des Schlafkontos oder einfach nur zum Aufladen des Geräts): Es gibt ein mörderisches Geschrei. Einen gewaltigen, furchteinflößenden Wutausbruch, der die Ruhe der letzten halben Stunde direkt wieder zunichte machen. Und wenn man die Emotionen des Kindes wieder halbwegs unter Kontrolle gebracht hat, muss man in den Folgetagen auch noch die Bettelei nach dem iPad ertragen. Natürlich möchte man direkt wieder nachgeben. Was einen davon abhält, ist lediglich die Angst vor einem erneuten Wutausbruch. Dieser Mechanismus greift übrigens nicht nur beim iPad, sondern auch bei Smartphones, Süßigkeiten, Spielzeugläden, Kindereinkaufswagen in Supermärkten (die irgendwann wieder zurückgestellt werden müssen) und ab und zu sogar beim allabendlichen Zu-Bett-geh-Ritual.
Wie man sein Umfeld dazu erzieht, nicht die eigenen Erziehungsmaßnahmen zu sabotieren
Nachdem man nun als Eltern fleißig gelernt und aus den immer wiederkehrenden
Bestrafungen Konsequenzen gezogen hat, kommt das persönliche Umfeld ins Spiel. Großeltern wollen zusammen mit den Kindern Youtube schauen oder verteilen teils heimlich Süßigkeiten, weil es den Enkel so glücklich macht. Man selbst wird schief angeschaut, weil man so verklemmt oder oberstreng sei. Und irgendwann ist man die ewigen Diskussionen Leid, anderen zu erklären, warum man nicht will, dass Süßigkeiten für das Kind zum Grundnahrungsmittel und digitale Medien die primäre Quelle für geistige Ertüchtigung (oder Verdummung) werden. In der Regel geht es hierbei nämlich nicht darum, das Kind glücklich zu machen, sondern um die Befriedigung von Großeltern, Verwandten und Freunden, die sich am kurz währenden Glück des Kindes erfreuen wollen.
Ich habe inzwischen meine eigene Strategie entwickelt und ich muss sagen, sie funktioniert erstaunlich gut, gerade dann, wenn man für mehrere Tage bei der Verwandtschaft zu Besuch ist: Ich lasse es einfach geschehen, setze aber eine knallharte Grenze. Zum Beispiel sage ich: “Okay, schaut halt ein wenig Kikaninchen auf dem iPad, aber nach 5 Minuten ist schluss! Und der der iPad schaut, muss dem Kind erklären, dass Schluss ist und trägt die entsprechenden Konsequenzen!”. Und siehe da, der Wutausbruch tritt in der Regel sofort nach dem Sperren des Bildschirms ein. Hier muss man jetzt wirklich konsequent bleiben und dem iPad-Gucker die Lösung des Konflikts überlassen. Und wenn sich das Kind irgendwann beruhigt hat und der iPad-Gucker völlig fertig mit den Nerven ist, gibt man natürlich auch die langfristige Bestrafung direkt an die Ursache allen Übels weiter. Wenn das Kind also wieder um das iPad bettelt, sagt man “Frag deine Großmutter, ob sie mit dir iPad schaut”. Die wird es sich nun zweimal überlegen, ob sie sich den Stress antut. Und noch ein angenehmer Nebeneffekt: Die Anzahl der gutgemeinten Ratschläge geht erfahrungsgemäß auch zurück.